Ein Fenster in Deutschlands dunkelste Jahre

1. Februar 2024
1. Februar 2024 Volker Weber

Ein Fenster in Deutschlands dunkelste Jahre

Theater aus Wetzlar führte an der St. Thomas Realschule plus Andernach das packende Stück „Empfänger unbekannt“ auf

ANDERNACH. Zwei langjährige Freunde entzweien sich. Nicht etwa in Folge eines eskalierten Streits, sondern weil sich der eine plötzlich für Adolf Hitler begeistert. In dessen antisemitischen Weltbild ist kein Platz mehr für eine Freundschaft mit einem Juden. Und der zum Nazi gewordene Ex-Freund tut auch nichts, um die Schwester seines jüdischen Geschäftspartners, mit der er lange liiert war, zu beschützen, sondern nimmt deren Ermordung durch Hitlers skrupellose Vollstrecker billigend in Kauf.

Das „Neue Kellertheater Wetzlar“ war an der St. Thomas Realschule plus Andernach zu Gast und zeigte dort das Stück „Empfänger unbekannt“. Es beruht auf dem fiktiven Briefwechsel zwischen einem in die USA emigrierten jüdischen Kunsthändler und dessen deutschem Partner. 1938 wurde das Werk der US-Amerikanerin Katherine Kressmann Taylor in New York erstmals veröffentlicht.

Gleich zu Beginn erfahren die Leser des Buches beziehungsweise die Zuschauer im Theater, dass der Deutsche, der ebenfalls nach Amerika ausgewandert war, im Spätherbst 1932 nach Deutschland zurückgekehrt ist und dort den rasanten Aufstieg Hitlers zum Reichskanzler und „Führer“ begeistert miterlebt.

Judenverfolgung Thema im Geschichtsunterricht

Für die rund 100 Andernacher Realschüler der Klassenstufen 9 und 10, die das Geschehen auf der Bühne verfolgten, war es nicht das erste Mal, dass sie mit dem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung in Berührung kamen. In den vorangegangenen Wochen hatten sie sich damit intensiv im Geschichtsunterricht auseinandergesetzt. „Unseren Schülerinnen und Schülern ist bewusst, dass Juden die anständigsten Menschen sein konnten, und dennoch rücksichtslos verfolgt und ermordet wurden“, betont Geschichtslehrer Ferdaus Isaqhzoi, der in zwei zehnten Klassen das schwierige Thema „Holocaust“ erst kürzlich behandelte.

Nicht zufällig fand die Theater-Aufführung wenige Tage nach dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt, so die kommissarische Schulleiterin der St. Thomas Realschule plus, Vicky Plitt. Die Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Correktiv“ zur geplanten „Remigration“ von vielen Millionen Menschen mit Migrationshintergrund oder auch von „nicht-assimilierten“ Deutschen verdeutlichen die Aktualität des Themas.

Die Theaterleute aus Wetzlar – neben den beiden Darstellern Bernhard Lefevre und Lars Lembke waren auch Regisseur Harald Soldan und der Vorsitzende des Vereins „Neues Kellertheater Wetzlar“, Andrés Zarra Esperón, nach Andernach gekommen – bedankten sich bei den Schülerinnen und Schülern für ihr „konzentriertes Zuschauen“ während der gesamten Aufführung. Auch bei der abschließenden Fragerunde ließen die Jugendlichen durch kluge Fragen erkennen, dass sie voll bei der Sache waren.

Die Realschule plus bedankte sich ihrerseits beim Verein „Theater im Keller“ (TiK) Andernach, der seit über 40 Jahren im Kellergeschoss der St. Thomas Relaschule plus ein eigenes Theater betreibt und dieses den Beteiligten bereitwillig zur Verfügung stellte. „Ein ganz toller Ort, um unser Stück aufzuführen“, zeigten sich die Gäste aus Hessen begeistert.

Empfänger unbekannt“ (oder „Adressat unbekannt“) steht zurzeit übrigens an mehreren deutschen Theatern auf dem Programm. Anders als die Inszenierung des Neuen Kellertheaters Wetzler, das aus dem Briefwechsel ein aufwändiges Schauspiel machte, wird es sonst meistens nur vorgelesen.

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